Einträge von Veronika Haschka

13. Dezember – ENTSCHEIDUNG

Seit zwei Stunden sitzt Masoud in dem kahlen Raum. Es riecht nach neuem Teppichboden. Der Tisch des Richters ist etwas erhöht ihm gegenüber. Immer wieder richtet er seine schwarze Robe zurecht und fährt sich durchs Haar. Er wirkt ein wenig genervt, manchmal auch traurig. Seit zwei Stunden unaufhörlich Fragen zu Masouds Situation in Afghanistan und […]

12. Dezember – CHANCEN

Mit vierzehn Jahren verdiente Samir in Aleppo Geld mit dem Anrauchen von Shishas. Mit fünfzehn musste er in den Libanon flüchten und bestritt seinen Lebensunterhalt mit dem Verkaufen von Süßigkeiten. Mit achtzehn kam er nach Österreich und machte bei einem Jugendtheaterprojekt am Theater an der Wien mit. Heute ist er dreiundzwanzig und darf auch in […]

11. Dezember – KINDER

2015 arbeitete meine Freundin als Notärztin. Sie kümmerte sich um einen älteren Mann aus Syrien, mit der Rettung fuhren sie ins Spital. Bald ging es ihm besser. Weil er kein Guthaben mehr hatte, borgte sie ihm ihr Handy, damit er seiner Familie Bescheid geben konnte, dass wieder alles in Ordnung war. Ein paar Tage später […]

10. Dezember – VERLIEBT

Nuri treffe ich fast Tag in der Küche des Notquartiers an. Sie wird zum neuen Zuhause des jungen Afghanen, der fast seine gesamte Familie verloren hat. Mittags wird warmes Essen geliefert, zum Frühstück und zum Abendessen richten Geflüchtete und Freiwillige aus der Umgebung gemeinsam Brot, geschnittenes Gemüse und Aufstriche her. Nuri kennt sich bald besser […]

9. Dezember – FREIHEIT

Ich lerne Katinka bei einem Kochprojekt kennen. Sie ist Tschetschenin, hat ein feines, hübsches Gesicht, und ich mochte sie von Beginn an. Ihr Mann wurde gefoltert und ist psychisch krank. Katinka ist diejenige, die die Familie zusammenhält. Als das Heim in dem sie wohnten, aufgelöst wird, findet sie mit ihrer Familie eine Wohnung in Wien. […]

8. Dezember – STRUKTUR

Ein Notquartier ist ein seltsamer Ort. Auf engstem Raum leben hier geflüchtete Menschen aus verschiedenen Ländern zusammen, wahllos zusammengewürfelt, als hätte der Wind des großen Universums sie aus Versehen hierher getragen. Im September 2015 wurde in einem ehemaligen Kloster in unserer Nachbarschaft ein solches Notquartier eingerichtet. Es liegt so nahe, dass ich es von meinem […]

7. Dezember – WASSER

Eine Freundin ruft mich aus Nickelsdorf an. Ob ich nicht ein paar Leute aufnehmen könnte, nur über Nacht, fragt sie mich am Telefon, hier gäbe es einfach nicht genug Schlafplätze. Es ist schon sehr spät, als ich mit fünf fremden Menschen im Auto nach Hause komme. Irgendwie sehen sie finster aus, auch die Frau. Sie […]

6. Dezember – Helfen

Samir und ich gehen im Wald spazieren. Ich will ihm ein wenig die Umgebung unserer Stadt zeigen. Der Weg ist voller Wurzeln und Steine. Da wird er auf einmal gesprächig, erinnert sich an seine Flucht und beginnt aufgeregt zu erzählen: Dass es genau so ausgesehen hat, und dass sie eine Gruppe von Menschen waren, mitten […]

5. Dezember – Frauen

Ich stehe müde am Bahnhof Wien Mitte. Es war ein anstrengender Tag. Alle haben mich irgendwie genervt. Da sehe ich Shakila. Irgendwie habe ich überhaupt keine Lust mich mit jemandem zu unterhalten. Aber Shakila hat mich auch schon entdeckt und kommt auf mich zu. Sie strahlt. Ich kenne sie eigentlich nicht besonders gut, aber in […]

4. Dezember – Schifahren

Farid hatte ich einmal beigebracht, wie man einen Erlagschein ausfüllt. Jetzt treffe ich ihn zufällig wieder in der Wohnung eines Freundes. Ich frage ihn, was er so macht und ob er einen Job hat. Er lacht und zeigt mir Fotos auf seinem Handy: Farid mit einer Gruppe von Jugendlichen beim Kanufahren, Farid beim Bogenschießen, Farid […]